Streitigkeiten zwischen Menschen gehören zum alltäglichen Leben dazu. In solchen sogenannten Konflikten können bestimmte Verhaltensweisen und Auslöser für diese erkannt werden. Der Organisationsberater und Konfliktforscher Friedrich Glasl erklärt in seinem Ebenenmodell, welche Stufen die Streitparteien durchlaufen und bietet eine Lösungsmethode. Befinden sich die Beteiligten auf einer bestimmten Stufe, ist die Hilfe durch Außenstehende nicht mehr umgänglich.
Kleine Meinungsverschiedenheiten, große Wortgefechte, einfache Missverständnisse oder böse Unterstellungen; Spannungen untereinander entstehen schnell und sind nicht ungewöhnlich. Egal ob es sich um private Beziehungskonflikte oder Zielverfehlungen im Projektablauf des Unternehmens handelt. Dabei haben verschiedene Faktoren Einfluss auf den Verlauf eines Konflikts.
Werden Gefühle angestaut oder die Gesprächsbereitschaft nimmt ab, steigt die Gefahr der Eskalation. Doch eine Auseinandersetzung an sich ist nicht negativ. Tatsächlich helfen vernünftige Auseinandersetzungen, sowohl Verständnis für verschiedene Meinungen und Bedürfnisse als auch Sympathien und Wertschätzung aufzubauen. Durch eine gesunde Konfliktaustragung wird vor allem die Zusammenarbeit auf Unternehmensebene gepflegt.
Ein Konflikt kann überfordernd sein, aber in erster Linie dann, wenn dieser zu spät erkannt und geschlichtet wird. Um der Ausweglosigkeit und Unkontrollierbarkeit einer Negativspirale aus dem Weg zu gehen, gibt es verschiedene Lösungsstrategien. Das Konfliktmanagement ist wichtiger Bestandteil einer Unternehmenskultur, da der Projekterfolg oft Schaden durch Krisen des Personals nimmt.
Das Modell der Konflikteskalation nach Glasl besteht aus drei Ebenen, welche insgesamt 9 Stufen beinhalten. Auf der ersten Konfliktebene ist es noch möglich, dass beide Parteien ohne Schaden und gegebenenfalls mit Gewinn davonkommen. Wenn sie jedoch tiefer in die Konfliktstufen hinabschreiten, entmenschlicht sich das Verhältnis untereinander und es kann hochexplosiv werden. Aus diesem Grund beschreibt Glasl sein Eskalationsmodell beispielsweise auch als hinabführende Treppe.
Auf dieser Ebene besteht das höchste Potenzial eines glücklichen Konfliktausgangs. Wird hier eine Konfliktlösung gefunden, können beide Konfliktparteien davon profitieren. Die Konfliktmoderatoren bleiben hier im Hintergrund und beobachten die Konfliktsituation, welche zu diesem Punkt durch sachliche Gespräche gekennzeichnet ist. Beide Parteien suchen gemeinsam nach einer realitätsgetreuen Lösung, aus der sie beide etwas gewinnen können.
Stufe 1: Verhärtung
Eine Spannungssituation beginnt beispielsweise dann, wenn es zu Abstimmungsschwierigkeiten und deswegen zur harmlosen Konfrontation kommt. Solche Meinungsverschiedenheiten werden jedoch von den Beteiligten selbst beigelegt.
Beispiel: Spannungen am Arbeitsplatz können entstehen, wenn unterschiedliche Meinungen darüber aufeinanderprallen, wer welche Aufgabe übernimmt. Ein eskalierender Konflikt wird hier nicht wahrgenommen. |
Stufe 2: Polarisation und Debatte
Wenn es zu keiner Konfliktklärung im Gespräch kommt, verschärft sich die Situation. Im Vordergrund dieser Stufe liegt steht die Argumentation. Beide wollen den anderen von ihrem Standpunkt überzeugen und die Meinung des Gegenübers wird nicht mehr zureichend wahrgenommen. Durch die Kategorisierung in Richtig und Falsch wird die andere Konfliktpartei zum Gegner, der besiegt werden muss.
Beispiel: Ein Paar streitet über den Haushalt und die Verteilung der Aufgaben. Emotionen steigen an. Hier ist es wichtig, dass die Sichtweisen beider Partner berücksichtigt werden. |
Stufe 3: Taten statt Worte
Nun möchten beide Parteien ihre eigene Meinung ohne Wenn und Aber durchsetzen. Jegliche Empathie und Mitgefühl gehen verloren und Worte werden in die Tat umgesetzt. So folgen Reaktionen oder Aktionen, die nicht untereinander kommuniziert wurden. Dies geschieht mit dem Ziel, der anderen Partei den persönlichen Unmut und das Misstrauen gegenüber dem Anderen zu signalisieren.
Beispiel: Wenn das Paar sich nach wiederholter Konversation immer noch nicht einig ist, folgen stumme Vorwürfe. Diese äußern sich beispielsweise darin, dass der Partner nun ignoriert wird. |
Ist diese Ebene erreicht, wird es einen Gewinner und einen Verlierer geben. Die Parteien konzentrieren sich lediglich auf ihre eigenen Siegeschancen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass der Streit unlösbar ist. Die Sachargumente spielen ab sofort nur noch eine Nebenrolle, wodurch eine destruktive Atmosphäre zustande kommt. Da moralische, ethische und rechtliche Regeln erhalten bleiben, können jedoch noch deeskalierende Maßnahmen von außen hinzugezogen werden, um eine Lösung zu finden.
Stufe 4: Image und Koalition
In dieser Stufe kommt es zur Parteienbildung. Die Beteiligten suchen Verbündete, die bei der Überzeugung des Gegenübers helfen können. Ziel ist es, die Auseinandersetzung nicht zu verlieren und ein positives Image aufzubauen. Die eigentliche Konfliktbehandlung ist in den Hintergrund gerückt. Durch die Verbündeten fällt es den Kontrahenten leichter, ihre Meinung zu verfestigen und den jeweils anderen zu denunzieren. Von Selbstbeherrschung und moralischen Skrupeln ist nichts mehr zu sehen.
Beispiel: Wenn sich zwei Parteien um die Vorgehensweise im Projekt streiten, werden weitere Mitarbeiter als Verbündete hinzugezogen, um den Chef von ihrer Meinung zu überzeugen. |
Stufe 5: Gesichtsverlust
Die Moral und das gegenseitige Vertrauen fallen hier vollkommen weg. Die Konfliktgegner sind bereit, wertfreie und persönliche Angriffe zu tätigen, mit denen der jeweils Andere herabgewürdigt und bloßgestellt wird. Durch Unterstellungen und Infragestellen der moralischen Glaubwürdigkeit wird für den eigenen Sieg gekämpft.
Beispiel: Auf der Arbeit wird ein Kollege schlecht geredet, um seine Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen. |
Stufe 6: Drohstrategien
Kann die andere Seite nicht vom eigenen Standpunkt überzeugt werden, kommt es zur Machtpräsentation. Durch Drohungen wird versucht den Gegner zum Einlenken zu zwingen. Durch Strafmöglichkeiten wird versucht, die jeweilige Macht darzustellen.
Beispiel: Am Arbeitsplatz kann mit dem Arbeitsplatzverlust oder in einer Beziehung mit der Trennung gedroht werden. |
Wenn die Konfliktparteien bis zu dieser Ebene fortgeschritten sind, können beide nur noch verlieren. Der Kollateralschaden ist zu groß und der Konflikt zu weit eskaliert. Alles worauf es hier noch ankommt, ist die Vernichtung des Gegners. Wenn nichts mehr weiterhilft, kann es selbstzerstörerisch werden. Diese Ebene wird in den meisten Unternehmensebenen nicht erreicht, da vorher eingegriffen wird. Anders sieht dies jedoch in privaten Beziehungen aus.
Stufe 7: Begrenzte Vernichtungsschläge
Es folgt nun ein Vergeltungsschlag nach dem anderen. Selbstzerstörerisches Handeln wird in Kauf genommen, solange der Konfliktgegner mehr Schaden davonträgt. Das eigentliche Sachthema spielt keine Rolle mehr. Die Denunziation des Gegenübers ist zu einer moralischen Entmenschlichung angestiegen, weshalb nun jegliche Mittel rechtfertigt sind.
Beispiel: Die beiden Partner gehen über Grenzen und versuchen dem anderen bewusst Schaden zuzufügen. Sie machen den anderen eifersüchtig oder reden ihn bei anderen schlecht. |
Stufe 8: Zersplitterung
Hier reicht die Zerstörung des Konfliktgegners allein nicht mehr. Das gesamte Netzwerk des Anderen soll zerstört werden, um diesen komplett zu isolieren. Hierzu gehören physische, soziale und psychische Attacken zum Standard. Alles, um die Reputation des Gegners zu schädigen.
Beispiel: Die Mutter versucht die Kinder auf ihre Seite zu ziehen und vom Vater zu isolieren. Der Vater wendet sich an Freundinnen der Mutter, um sie auf seine Seite zu ziehen. |
Stufe 9: Gemeinsam in den Abgrund
Jegliche Kommunikation der Beteiligten endet in einer weiteren Eskalation. Die eigene Selbstvernichtung wird für den Untergang des Gegners in Kauf genommen. Der Vernichtungswahn hat Oberhand gewonnen. An dieser Stelle ist die Lösung ohne professionelle Hilfe nicht mehr möglich.
Beispiel: Es beginnt ein wahrer Beziehungskrieg. Die Mutter nimmt die Kinder an sich und er findet einen Weg, um keinen Unterhalt mehr zu zahlen. |
Je nach Konfliktphase sind unterschiedliche Eskalationsmechanismen zu erkennen, die den Konfliktverlauf prägen. Glasl definiert fünf Kernmechanismen der Eskalation:
Alle Maßnahmen, die zur Verhinderung oder Schlichtung von Konflikten genutzt werden, werden zum Konfliktmanagement gezählt. Ein Konfliktmanager begleitet die Parteien in ihren Konfliktlagen. Seine Tätigkeit liegt vor allem in der Konfliktberatung und der Mediation. Er leitet also den Mediationsprozess an und versucht so die Eskalationsdynamik abzubremsen. Er betrachtet die Konfliktursachen und Konfliktsignale, um ein Absinken im Eskalationsprozess zu vermeiden.
Eine Orientierung am Eskalationsstufenmodell nach Glasl lohnt sich, sobald man sich in einem Konflikt mit Eskalationspotenzial wiederfindet. Ein effizientes Konfliktmanagement hilft sowohl bei privaten Auseinandersetzungen als auch auf Unternehmensebenen. Kausalitätsbeziehung können offenbart und eine Komplexreduktion des Konflikts vorgenommen werden. So lassen sich bereits ausgeartete Konflikte deeskalieren und neue Lösungsansätze finden.